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Das Sabbatical - Abenteuer


Meine Auszeit aus der Komfortzone

Fast am Ende unserer über 10‘000 km langen Reise von Jenins (Schweiz) nach Calapan (Mindoro, Philippines) fragte mich auf der Fähre eine Frau: „Where is your guide?“. Einen Reiseführer? Haben wir natürlich nicht. Nicht mal in Buchform.

Die Frage erinnerte mich daran, dass wir uns blauäugig entschieden haben, mit vier kleinen Kindern für knapp drei Monate auf den Philippinen, in einer uns völlig fremden Kultur, zu leben. Vor uns lag das Sabbatical-Abenteuer schlechthin. Auf den Sprung ins kalte Wasser folgte eine lange Tauchphase. Was mich hinderte fröhlich aufzutauchen und die Auszeit zu geniessen? Wo soll ich nur anfangen?

Die heisse und feuchte Luft schlägt einem wie eine Wand entgegen. Die Intensität der äquatornahen Sonne beschneidet unsere Bewegungsfreiheit auf wenige Schattenquadratmeter. Mäuse, Ratten, Geckos, Kakerlaken nennt man Haustiere. Draussen hält man eine Million Grillen, Frösche, Hähne und Hunde, damit man nachts aufgrund der Tierlaute auch sicher kein Auge zu tut. (Falls überhaupt an Schlaf zu denken ist in Anbetracht der leidenschaftlichen Karaoke-Tätigkeit unserer philippinischen Nachbarn.. Vom 24-h-Gehupe auf der Strasse mal abgesehen.)

Unsere Kinder sind durch die Sprache und Umgebung grundverunsichert. Sie hängen an unseren Rockzipfeln, es wird viel gejammert und gestritten. Wir sind als weisse Familie DIE Attraktion unter steter Beobachtung. Die Freundlichkeit und das Interesse sind überwältigend. Alle sind hin und weg von unseren Mädels, Haare und Haut werden angefasst. Die Kleinsten werden zu Knuddelzwecken kurzerhand entführt während wir die immer gleichen Fragen über Name, Alter, (Nein, keine Zwillinge. Und ja, sie sehen aus wie Puppen) und Herkunft beantworten. Ein „Nein“ oder ein „Ja“ ist als Antwort von Filipinos nicht zu erwarten. Stattdessen muss man ihr Lächeln und wilde Augenbrauenbewegungen interpretieren.

Mein Körper wurde im Nu zu einem dauerklebrigen, aufgequollenen, glänzenden Etwas, übersät mit Moskitostichen. Dazu kommen wahlweise Hautauschlag, schmerzhafte Augenentzündung oder Ganzkörperjuckreiz. An meine sensible Nase müsste ich bei Gängen durch die Strassen und Märkte eine Handvoll Duftbäumchen hängen. Ein Klo mit einem Wassereimer und einem Plastikbehälter anstelle von Klopapier regt die Kreativität an. Mit einem Krabbelkind sind in Sachen Hygiene meine beiden Augen ständig zugedrückt. Die Sabberspur des erwähnten Krabblers ist durchgehender als der Strahl unserer Dusche. Das Synonym von Mahlzeit (inkl. Frühstück) heisst hier Reis. Mein geheimes Ziel war, mein postnatales Bäuchlein in den Philippinen los zu werden. Stattdessen futtere ich den Vorrat an Schweizer Schokolade weg, den wir verschenken wollten. Weil es sich einfach gut anfühlt, in den einzigen fünf wohligen Minuten nach der kalten Dusche dem Heimweh zu frönen. Frustriert über die neuen Kilos werden die Laufschuhe aus dem Koffer geholt. Abends ist es stockdunkel. Wenn ich keinen Hitzetot erleiden will, bleibt auch mir als Langschläfer nur ein frühmorgendliches Zeitfenster. Auch dann noch fühlt sich das Ganze nach wenigen Metern an, als ob ich in einem Dampfbad Sport treiben würde.. Abgase, beissender Plastikfeuerrauch und ermutigende Zurufe vom Strassenrand wie „Good morning, ma’am!“ und „Nice jogging!“ inklusive. Meine Hormone, die einer stillenden Frau, sind mir alles andere als eine emotionale Stütze.

Ich sagte mir immer wieder, dass das nur Lappalien sind. Trotzdem hielt mich das alles unter Wasser.

Mich, die Bauerntochter, das Jungschi-Kind, die Afrika-Kurzzeitlerin? Ich bin ernüchtert über meine Unfähigkeit, diese Summe von Unbequemlichkeiten locker weg zu stecken und dieses Fremde mit einem offenen Herzen zu umarmen. Ich habe mich durch Umstände und Emotionen leiten lassen. Bin ich eine Anfängerin, oder was? Ich sollte es besser wissen. Stattdessen habe ich etwa einen Monat unter Wasser verbracht, mich fragend, was wir hier eigentlich tun.

Jetzt bin ich endlich aufgetaucht, bin fähig, zurück zu lächeln, etwas von mir zu verschenken, zu lernen, zu geniessen, das Schöne zu erkennen, das Einfache wert zu schätzen, mich im Zeitlosen unserer Tage zu verlieren, mich bewegen zu lassen von Armut und Hilflosigkeit, zu beobachten und mich zu interessieren, Erlebnisse zu bewahren, Fremdes nicht zu werten. Ohne dass ich es bemerkte, habe ich mich seid Jahren in der „comfort zone“ wohlig eingerichtet. Wurde höchste Zeit, dass mich Gott da rausholte.

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