Mutig sein und NEIN sagen...
Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, wie ich meine Zeit einsetzen kann. Gerade im christlichen Bereich: So viele Konferenzen, Gottesdienste, Feste, Anbetungsabende, Interessengruppen – alles Orte, an denen Reich Gottes gebaut wird. Es ist ein Privileg bei vielen genialen Angeboten mitarbeiten zu dürfen. Und immer noch mehr Anfragen zu erhalten. Dafür bin ich dankbar. Und gleichzeitig fordert es mich heraus. Denn ich muss mich immer wieder entscheiden, muss bewusst Ja oder Nein sagen.
Ich habe letzthin mit meinem Vater gesprochen und gemerkt, dass ich einen merkwürdigen Gedanken mit mir herumtrage: Ich habe das Gefühl, ich dürfe doch nicht jetzt schon, mit nicht mal 30, einfach „nur“ das tun, was meinen Stärken entspricht und was ich gerne tue. Ich spare mir quasi dieses Privileg für die Zeit ab 50. Und wahrscheinlich denke ich dann, ich dürfe das erst nach der Pensionierung machen. Und als Seniorin werde ich es wohl auf noch später verschieben. Diesen Gedanken habe ich mit Schrecken entdeckt.
Ich ermutige die Jugendlichen, mit denen ich zusammenarbeite, sich nicht zu verzetteln, den Mut aufzubringen Nein zu sagen, sich lieber nur an einem Ort einzusetzen und dafür richtig... und dann das. In meinem eigenen Kopf, mit Auswirkungen auf mein eigenes Leben. Hoppla.
Das Gespräch mit meinem Vater hat sich ergeben, weil ich in einer herausfordernden Zeit war, in der vieles zerbrach und ich Gott als fern erlebte. Zudem hatte ich diverse (grosse) Projekte, in denen ich mitwirkte und die mich zum Teil überforderten, weil ich nicht das tat, was meinen Fähigkeiten entspricht.
Ich musste mir Zeit nehmen, um mein Leben zu überdenken. Ich will mich nicht erst mit 50 hinsetzen und darüber nachdenken, was ich eigentlich will. Ich möchte schon jetzt das tun, was ganz „meins“ ist – zu Gottes Ehre.
Ich musste mir Zeit nehmen, um mein Leben zu überdenken. Ich will mich nicht erst mit 50 hinsetzen und darüber nachdenken, was ich eigentlich will. Ich möchte schon jetzt das tun, was ganz „meins“ ist – zu Gottes Ehre. Sofort meldeten sich die Stimmen in mir: „Aber diese Chance so etwas Grosses zu organisieren – willst du es nicht nochmals versuchen? Du kannst aus den Fehlern lernen!“ oder „Mit diesem Mega-Event aufhören? Da kannst du so viel mitprägen! Das wäre doch schade, gerade das aufzugeben!“ Die inneren Stimmen wurden ergänzt von Kommentaren aus meinem Umfeld. „Wie kannst du nur. Du hättest so viel profitiert.“ Ja, ich weiss. Und ich fühle mich geehrt, dass ich diese Chance erhalten habe. Und ja, ich bin mir bewusst, dass diese Chance vielleicht nie wieder kommt. Und ich bleibe trotzdem bei meinem Nein, danke.
Vielleicht ist mein Nein manchmal etwas trotzig und aufmüpfig. Ab und zu provoziere ich gerne. Ich nerve mich über uns Christen, weil so vieles einfach klar ist und erwartet wird. Man sollte hier und da dabei sein, insbesondere wenn man die Möglichkeit hat im Glauben zu wachsen und von Vorbildern zu lernen, sollte keinen Doodle allzu grün ausfüllen und dabei doch immer noch aus der Ruhe leben. Das klappt bei mir nicht. Ich musste schmerzlich erleben, dass auch ich meine Grenzen habe – allem jugendlichen Übermut zum Trotz. Und so lerne ich, ganz bewusst Ja zu sagen zu einigen wenigen Engagements. Und damit auch Nein zu vielen anderen tollen Dingen. Ich kann mich dann voll und ganz reingeben, merke, dass ich aufblühe, mich nicht verzettle, die ganze Energie in das stecken kann, was wirklich meins ist.
Krisen und Zeiten der Überforderung werden mir immer wieder zur Chance, mir ganz gut zu überlegen, was ich wirklich will und kann, wo ich auflebe und wie ich meine Gaben einsetzen kann. Ich lerne da gerne von einer Architektin, die ebenfalls bei der VBG arbeitet und bald pensioniert wird. Sie hat auf ihr Leben zurückgeblickt und gesagt, sie sei ihren eigenen Weg gegangen. Das sei zwar kein Sonntagsspaziergang, aber ein spannender Weg.
Ja, spannend ist dieser Weg – und spannungsvoll. Weil ich zu tollen Dingen Nein sagen muss, oftmals nicht verstanden werde und für meine unkonventionellen Entscheide gerade stehen und mich erklären muss. Aber das lohnt sich. Denn am Ende wird nicht zählen, ob ich möglichst viel gemacht habe, sondern ob ich so Jesus nachgefolgt bin, wie er es für mich vorgesehen hat.