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Sarah Keshtkaran, Elim Kirche Hamburg

Die Anderen


„Die Anderen“ kamen mir immer näher. Erst las ich in meinem behüteten Kinderzimmer Bücher über sie. Geschenke von meiner preußischen Oma über Wüstenblumen, Freiheitskämpferinnen und Weltveränderer aus fernen Ländern. Sie faszinierten mich und weckten tiefe Leidenschaft in mir. Ich begann das Fremde zu lieben und hatte Sehnsucht nach Vielfalt. Als Teenager entwickelte sich dann in meiner Vorstellung eine ideale Welt ohne Grenzen und ohne Kriege um dieselben. Ich träumte von einer großen Welt ohne Landesgrenzen.

Und dann überquerte ich die erste Grenze: Ein Auslandsjahr in Uganda. Jung und leidenschaftlich dachte ich, alles wäre möglich. Und ich liebte Land und Leute, Sonne und Staub auf den Straßen und frische Früchte auf den Märkten. Doch genau auf diesen Märkten wurden die Grenzen größer als erwartet: extra Preise für Weiße. Auf dem Land wurden mir Babies in die Hand gedrückt in der Hoffnung, dass sie es bei mir besser haben. Nicht weil man mich kannte, nur weil man sah, dass meine Hautfarbe anders war. Und ich merkte, dass „die Anderen“ tatsächlich anders waren. Sie lachten wenn ich weinen wollte und tanzten wo ich still gewesen wäre.

Als ich dann einige Jahre später auf meiner ersten persischen Geburtstagsparty war, wusste ich noch nicht, dass das Geburtstagskind einmal mein Ehemann sein würde. Und wieder war vieles so anders. Ich war wie erschlagen von der Lautstärke und Fröhlichkeit. Es waren mehr als doppelt so viele Menschen im Raum, als ich eingeladen hätte. Es roch nach Safran, über den Fernseher lief laute Musik und die Leute redeten gleichzeitig und tanzten zusammen im Wohnzimmer. Ich wollte nicht tanzen, wollte möglichst lange erstmal auf keine solche Party mehr. Denn dort war ich nicht nur mit der Andersartigkeit der Iraner konfrontiert, sondern auch mit meiner eigenen: denn plötzlich war ich die Andere. Die zurückhaltende, steife, strukturierte, distanzierte Sarah. Worte mit denen mich Deutsche nie beschreiben würden, aber hier unter Iranern trafen sie auf mich zu. Und ich mochte diese Sarah nicht, ich hatte vielleicht sogar ein bisschen Angst vor ihr. Ich war unsicher, was diese Weltoffenheit noch alles mit mir machen würde.

Ich war unsicher, was diese Weltoffenheit noch alles mit mir machen würde.

Aus dieser Unsicherheit wuchsen Momente in denen die Anderen nicht mehr nur anders waren. Jetzt waren sie aufdringlich, laut, grenzüberschreitend, unzuverlässig, unordentlich und vereinnahmend. Nicht weil sie sich verändert hatten. Ich hatte mich verändert. In meinem Herzen waren Grenzen gewachsen. Die Grenzen, die ich eigentlich als Teenager weltweit abschaffen wollte. Sie hatten bittere Wurzeln in meinem Innersten geschlagen. Ich wollte die Anderen zusammen mit all ihrem fremden Essen, Verhalten und Sprachen möglichst weit weg von mir halten. Sie sollte mir nicht zu nahe kommen. Mich in Ruhe lassen.

Ich wollte die Anderen zusammen mit all ihrem fremden Essen, Verhalten und Sprachen möglichst weit weg von mir halten. Sie sollte mir nicht zu nahe kommen. Mich in Ruhe lassen.

Denn ich hatte Angst. Angst vor der Veränderung, die sie in mein Leben und in meine Gewohnheiten bringen würden. Angst davor mich in ihrer Anwesenheit selbst zu verlieren. Und Angst baut Grenzen. Angst baut AfD Wähler und Rechtsradikale. Angst baut Verachtung und Sicherheitsabstände. Angst baut auch getrennte Kirchen; für Deutsche, Afrikaner, Polen und Iraner jeweils eine eigene. Angst baut ausschließlich monokulturelle Familien und einsprachig aufwachsende Kinder. Angst baut Mauern und Grenzen. Und Angst führt Kriege.

Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz; ´Gottes` vollkommene Liebe vertreibt jede Angst. (1. Johannes 4:18)

Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz; ´Gottes` vollkommene Liebe vertreibt jede Angst. (1. Johannes 4:18)

Gott sei Dank, gibt meine Kirche über 50 Nationen eine Heimat, mein Land gibt Flüchtlingen ein neues zu Hause, mein Mann ist Iraner, meine Kinder sprechen Farsi und ich habe keine Angst mehr! Gott sei Dank! Immer weniger zumindest. Denn mit der Zeit lerne ich zu lieben. Ich lerne mich selbst zu lieben, so wie ich bin. So wie ich unter Deutschen und unter Afrikanern und Iranern bin.

Und weil ich geliebt bin, brauche ich keine Angst mehr zu haben und kann loslassen.

Und weil ich geliebt bin, brauche ich keine Angst mehr zu haben und kann loslassen. Denn ich merke, wenn ich Menschen aus anderen Kulturen lieben möchte, muss ich loslassen. Was lasse ich los? Ich lasse meine Rechte los. Mein Recht immer recht zu haben. So wie Jesus, als er Mensch wurde. Ich lasse auch meinen Wunsch nach Kontrolle los. Weil Jesus alles unter Kontrolle hat. Es muss nicht immer so laufen wie ich es mir vorstelle. Es geht nicht nur um mich. Und dann werde ich frei zu lieben, weil ich keine Angst mehr habe, dass mir das genommen wird was ich vorher so fest halten wollte.

Die letzte große persische Party auf der ich war, war meine eigene Hochzeit. Ich erinnere mich, wie ich Reis und Lamm aß. Es roch nach Safran und die ganze Nacht tanzte ich zu deutschem HipHop (meine heimliche Leidenschaft) und lauter persischer Musik. Um mich herum Menschen aus zahllosen Ländern und ich wusste: „So soll es sein. Keine Grenzen mehr.“ Ich glaube im Himmel gibt es keine Landesgrenzen. Und vielleicht ist es ja ein Stück Himmel für mich, wenn es in meinem Herzen jetzt schon keine mehr gibt.

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