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Gemeinsam im Ring

Als ich vor mehr als zehn Jahren als Grundschullehrerin arbeitete, war die Schule teils noch ein Wald voller Leitwölfe. Jede Klassenlehrperson ein Alpha-Tier, das Zimmer das eigene Revier und die Klasse das Rudel. Kein anderes pädagogisches Personal weit und breit, keine Klassenassistenzen und Sonderpädagoginnen im eigenen Territorium und wenig bis gar keine Teamarbeit. Wie gut, dass sich Schule verändert hat. Aber darum geht’s hier nicht. Dass mir Leiten heute noch zu viel mit alleine kämpfen und Alpha-Tieren zu tun hat: darauf will ich hier hinaus. Mein Bild vom Leitwolf hinkt zwar gewaltig. Das merkte ich bereits nach kurzer Recherche.

Forscherinnen und Forschern wird immer klarer, dass in der Wolfsfamilie sowohl das männliche als auch das weibliche Leittier das Sagen haben. Ein Wolfsrudel in freier Wildbahn ähnelt einer menschlichen Familie. Zwei Tiere führen gemeinsam als Oberhaupt ihr Rudel an. Mal zusammen, Mal jeder in seinem Bereich, je nach Situation und je nach Temperament. Bei Gefahren beispielsweise greifen die Leitwölfe überwiegend gemeinsam an und koordinieren ihre Aktionen. Im Gegensatz zu Wölfen in Zoos, leben ganze Wolfsrudel in freier Natur ohne Streitigkeiten um die Rangordnung und Führungspositionen.

Eines der Systeme, in dem ich mich befinde, erfährt momentan einen Umbruch da ein grosser Wechsel in den verantwortungsvollen Positionen bevorsteht. Übergänge sind oft sensible und unsichere Phasen. Ich sitze in diesem Prozess auf den hintersten Rängen und nahm von da aus überraschend schnell ein Machtvakuum und ein subtiles Gerangel unter den Bleibenden wahr. Warum nicht die Gelegenheit beim Schopf packen und das eigene Feld um ein paar Quadratmeter erweitern? Oder sich auf dem Spielfeld rasch eine andere Position oder neue Fans suchen?

Dieses Spiel nervt mich von Grund auf. Da mach‘ ich nicht mit und bin für einmal sehr gerne Spielverderberin. Leiten ist doch kein Platzhirschentum! Ich bin überzeugt, dass komplexe Systeme eine Struktur der verteilten Autorität benötigen. Das wissen ja sogar die Wölfe.

Und meine Tochter wusste das instinktiv bereits mit vier Jahren. Schon etwas länger her, als wir gemeinsam mit anderen im Eltern-Kind-Turnen in der Sporthalle tollten. Auf dem Programm: Die Reise nach Jerusalem. Anstelle von Stühlen lagen Holzreifen am Boden. Immer einer weniger als verbleibende Kinder. Die Musik stoppte, jedes Kind sprang in einen Reifen. Eines blieb übrig. Normalerweise. Dieses eine Mal blieb aber kein Kind übrig. Und das, weil meine Tochter mit ihrer Freundin gemeinsam im Ring stand. Sie fand, es hätten doch locker zwei drin Platz. Ich sollte ihr die Regeln von Die Reise nach Jerusalem erklären. Ich machte es nicht. Denn das Spiel erinnert mich an das bereits erwähnte Spiel, nervt genauso und fordert einen ja offensichtlich heraus, die Regeln zu ignorieren. Jeder für sich und eine bleibt übrig. Echt jetzt?

"Ich bin überzeugt, dass komplexe Systeme eine Struktur der verteilten Autorität benötigen. "

Recht hat sie, meine Vierjährige! Lass uns doch einfach gemeinsam in den Ring stehen. Wo ist das Problem? Unsere Welt lässt uns manchmal glauben, dass es nur ein winziges Stückchen vom Erfolgs-, Segens- oder Leitungskuchen gibt, um das wir uns alle mit ausgefahrenen Ellbogen streiten müssten. Aber wer sagt denn, dass es nur einen Kuchen gibt und nicht ganz viele? Wer sagt, dass wir uns unseren Kuchen nicht selber backen können, wenn da wirklich keine mehr wären? Lass uns doch das ganze Spiel neu denken. Weit weg vom Gerangel um Ringreviere zusammen in diesen Ring stehen und so gemeinsam geistlich leiten.

Tamara Boppart textet und ist als Rednerin unterwegs. Sie arbeitet bei Central Arts, einer Bewegung von Kreativen in den populären Künsten und Kirchen. Sie ist Mutter von vier Töchtern und verheiratet mit Andreas „Boppi“ Boppart, Leiter von Campus für Christus (CH/DE/AT). Zusammen mit einer anderen Familie lebt sie gemeinschaftlich unter einem Dach im Zürcher Unterland. 

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